Es
ist kaum zu glauben: Warendorf war nach dem 1.
Weltkrieg Selbstversorger für Strom und Gas. Das Warendorfer
Elektrizitätswerk erzeugte durch die Wasserkraft der Ems die
damals notwendige Strommenge.
In der Gasanstalt wurde die
erforderliche Gasmenge produziert.
Ich bin am Münstertor aufgewachsen. Darum gehörte die Gasanstalt zum Spielumfeld meiner Kinderjahre. Davon möchte ich gerne erzählen.
Wenn wir Kinder den Schulhof der Münsterwallschule zur Gasstraße (heute Wallpromenade) überquerten, war hinter dem großen Haus von Bürgermeister Ewringmann die Gasanstalt. Die großen Gasometer waren für unsere Kinderaugen gewaltig, besonders wenn der große Tank gefüllt war. Ich schätze die Höhe auf etwa 20 Meter. Der zweite Tank war meist gering gefüllt. Besonders im Winter war das Zusehen bei der Gasgewinnung spannend und gleichzeitig angenehm. Kamen wir vom Rodeln oder vom Schlittschuhlaufen auf der zugefrorenen Ems zurück, durften wir uns in der warmen Halle aufwärmen.
Schon von weitem sahen wir die noch glühenden Koksberge links vor der Halle liegen. Das wirkte in der Dämmerung sehr gespenstisch.
In der Halle standen die riesigen Kokereiöfen. Wie zwei Feuerbälle leuchtete uns das Gasfeuer aus den runden Ofentüren entgegen.
Auf einem Gestell lag eine etwa 2-3 m lange, halbrunde Schaufel mit Steinkohle gefüllt. Die Gasarbeiter schoben diese Schaufel in ein rundes Feuerloch, drehten die Schaufel um und zogen sie schnell wieder heraus. Durch die sehr große Hitze begann die Gasaustreibung.
Nach einer gewissen Zeit wurde mit der langen, fahrbaren Schaufel die rote Kohlenglut aus dem Ofen geholt und draußen ausgeschüttet. Zur schnellen Auskühlung wurde Wasser über den glühenden Kohleberg gegossen. Riesige Dampfwolken stiegen zum Himmel. Wir mussten immer großen Abstand halten, denn der heiße Wasserdampf war gefährlich.
Für die Gaswerksarbeiter war
es eine schwere und heiße Arbeit. Durch den Staub waren ihre
Gesichter immer schwarz. Wir fürchteten die Männer aber nicht,
denn wir kannten sie ja. Die Gaserzeugung aus der Steinkohle war
der größte Nutzeffekt. Die abgekühlte Glut war der Koks. Er war
ein begehrter Brennstoff für Heizungsöfen. Wer es sich leisten
konnte, legte für das ganze Haus eine Zentralheizung an,
meistens stand ein mit Koks befeuerter Heizkessel im Keller. Ein
anderes verwertbares Nebenprodukt der Kokerei war der Teer.
Schon seit 1865 wurde der Marktplatz mit Gaslaternen beleuchtet, das war sehr fortschrittlich für diese kleine Stadt. Nach und nach wurden auch in den Straßen Laternen angebracht. Schöne schmiedeeiserne Lampenarme mit einer aufgesetzten Glaskuppel, in der sich der Glühstrumpf befand, waren an den Hausecken angebracht, die zudem auch Straßenecken waren. So wurden zwei Straßenzüge mit einer Lampe beleuchtet.
Wenn wir im Winter in der
Dämmerung auf der Straße spielten, konnten wir das allabendliche
Schauspiel des Laternenanzündens erleben. Der Laternenanzünder
ging mit einer langen Stange, die am oberen Ende eine Flamme
hatte, von Straßenlaterne zu Straßenlaterne. Hier zog er an
einer herunter hängenden Schnur, wodurch eine Öffnung des
Gashahnes bewirkt wurde. Mit seinem brennenden Gasstab
entzündete er die Gasflamme. Um dieses kleine Schauspiel erneut
leben zu können, liefen wir Kinder bis zur nächsten Straßenecke
hinter dem Laternenanzünder her.
Am nächsten Morgen ging der Lampenwärter wieder von Gaslampe zu Gaslampe, zog an der anderen Schnur, so dass die Gaszufuhr gestoppt wurde und die Gasflamme erlosch.
Für die Beleuchtung der Wohnungen und später auch das Kochen auf dem Gaskocher, war das Gas eine begehrte Energiequelle. Die Gasbeleuchtung war verglichen mit den Petroleumlampen ein großer Fortschritt. Für das Klima in den Wohnräumen war das Gas aber wohl nachteilig, denn unsere Palme im Wohnzimmer ging nach kurzer Zeit ein.Das änderte sich, als wir 1923 elektrisches Licht bekamen.
Es war vielen Müttern bekannt, dass die Luft in der Gasanstalt zur Gesundung ihrer an Keuchhusten erkrankten Kinder beitragen konnte. Mehrere Male hielten sie sich mit dem erkrankten Kind vor den großen Öfen auf. Ob die Wärme oder die Zusammensetzung der Luft die Besserung brachte, weiß man nicht. Das Vertrauen in diese Heilmethode war groß.
Diese Gasanstalt hat von 1863 bis 1950 bestanden. Ein privates, kleines Gaswerk gab es für kurze Zeit im Garten der Harmonie an der Münsterstraße.
Tüchtige Bürgermeister wie Joseph Zumloh (1856-1869) und Wilhelm Diederich (1869-1904) haben sich um das große Gaswerk verdient gemacht. Die Stadt verkaufte dieses Werk 1917 an die Elektrizitätswerke. 1929 wurde das Gaswerk Eigentum der VEW. Langjähriger Leiter des Gaswerkes war Franz Hilker, der seine Dienstwohnung am Gaswerk hatte. Er war ein sehr geachteter Warendorfer Bürger, darum wurde sein plötzlicher Tod bei der Hagelprozession (eine Bittprozession gegen Unwetter) 1934 sehr bedauert.
1950 wurde der Betrieb der Gasanstalt eingestellt. Die VEW nutzte das Gelände für ihre Verwaltung bis zur Jahrtausendwende.
Die Autorin Eugenie Haunhorst geb.
Göcke wurde 1912 in Warendorf geboren und wuchs
in einer Lehrerfamilie mit vier Geschwistern
auf. Im Alter von 90 Jahren begann sie,
Erinnerungen aus ihrem Leben im Warendorf der
1920er Jahre aufzuschreiben. Sie starb 2016 im
Alter von 103 Jahren.
Bild: Archiv der Altstadtfreunde Warendorf
alle Rechte vorbehalten: Eugenie Haunhorst 2006
Die absolutistischen Staaten des 18. Jahrhunderts
regelte durch mancherlei Verbote das Leben ihrer Untertanen. Ein
solches Beispiel ist ein 1766 für das Fürstbistum Münster, zu
dem Warendorf gehörte, erlassenes Verbot des Trinkens von Kaffee
und Tee für die Unterschicht - „von geringer Handthierung
lebenden Unterthanen, so wie den Dienstboten und Armen“ - und
für die auf dem Lande und in Dörfern wohnenden „freien und
schatzpflichtigen Bauern, Kötter, Brinksitzer [Kleinbauern oder
Heuerlinge am Rande des Dorfes oder der Mark] und von ihrer
Handarbeit lebenden Individuen“. Begründet wurde das Verbot, das
der Landesherr Fürstbischof Maximilian Friedrich von
Königsegg-Rothenfels, am 24.8.1766 auf Antrag der Landstände
erließ, damit, um der „gar zu stark eingerissenen, und auf eine
verderbliche und verschwenderische Weise fortgesetzt werdenden
Thee- und Kaffee-Trinken Ziel und Maaß zu setzen“. Das Verbot
galt in und außerhalb der Wohnungen. Für Übertretungen wurde
eine Strafe von drei Reichstalern angedroht. Diese Strafe traf
auch Gastwirte, die diesem Personenkreis Tee oder Kaffee
ausschenkten. Das Verbot galt nicht für wohlhabendere Bürger,
den Adel und die Geistlichkeit. Ein kleines Hintertürchen räumte
der Landesherr Auch für die Unterschicht ein: Der vom Verbot
betroffene Personenkreis konnte jährlich für zwei Reichstaler,
die in die Landeskasse flossen, einen Erlaubnisschein für die
gesamte Familie lösen. Es wurde bestimmt, dass
schon der bloße Besitz von Kaffee oder Tee und des dafür
notwendigen Geschirrs ebenfalls mit drei Reichstalern Strafe
belegt war. Wer die Übertretung dieses Verbotes anzeigte,
erhielt ein Drittel der verhängten Strafe. Es wurde auch
bestimmt, dass Kaufleute Geldforderungen für an diesen
Personenkreis verkauften Kaffee und Tee nicht einklagen konnten.
Dieses Verbot – „zum Besten der Unterthanen“ - geschah
nicht, um die Bevölkerung vor gesundheitlichen Gefahren zu
schützen. Dann hätte man generell den Kaffee- und Teegenuss
verbieten müssen. Es ging bei der damals herrschenden
Wirtschaftspolitik des Merkantilismus darum, zu verhindern, dass
für die aus fernen Ländern kommenden Dinge sehr viel Geld ins
Ausland abfloss. Dabei mag auch die Überlegung mitgespielt
haben, Minderbemittelte davor zu bewahren, ihr Geld für teuren
Kaffee oder Tee auszugeben. Nach dem Ratsprotokoll vom 21.2.1772
wurde vom Warendorfer Rat verfügt, dass den Armen die Almosen,
die teils aus Brot und teils aus Geld bestanden, am Sonntag
nachmittags erst nach der Christenlehre auszuteilen seien, um
einmal diesen Personenkreis zum Besuch der Christenlehre
anzuhalten und ihnen dadurch den Anlass zu nehmen, die Gelder
für Tee oder Kaffee auszugeben.
Auf merkantilistischen Überlegungen beruhte auch, dass
bei der Bestätigung der Rolle des Krameramtes 1632 Fürstbischof
Clemens August von Bayern den Warendorfer Kaufleuten den
Handel mit verschiedenen Importwaren wie z.B. Seide,
ausländischen Strümpfen, Kaffee, Tee, Zucker, Safran, Ingwer und
anderen Spezereien aus fremden Ländern verbot. Auch in anderen
Staaten waren solche Kaffeeverbote erlassen worden. So war für
das zum Kurfürstentum Köln gehörende Herzogtum Westfalen, das
das sogenannte Kölnische Sauerland umfasste - im Wesentlichen
der heutige Kreis Olpe und der Hochsauerlandkreis -, am
23.12.1766 vom Kurfürsten Maximilian Friedrich von
Königsegg-Rothenfels, der gleichzeitig Fürstbischof von Münster
war, den Gewerbetreibenden der Groß- und Einzelhandel mit Kaffee
sowie allen Bürgern, Bauern, Arbeitern und den Dienstboten der
Genuss von Kaffee unter Androhung von Geldstrafen verboten
worden. Gleichzeitig wurde befohlen, alles Kaffeegeschirr
abzuschaffen. Auch hier gab es Ausnahmen für die „höheren
Stände“, denen der Bezug von Kaffee aus dem Ausland und dessen
mäßiger Genuss für sich und ihre Kinder gestattet wurde. Da
diese Verordnung und eine ähnliche 1767 für das Vest
Recklinghausen erlassene Verordnung, die das Kaffee- und
Teetrinken einschränken sollten, keinen Erfolg hatten, wurde
1770 der Verkauf und Genuss des Kaffees wieder erlaubt. Es hatte
nur jeder Einwohner höheren Standes jährlich einen
Erlaubnisschein für vier Taler zu lösen. , da es wohl keine
Wirkung hatte.ie ärmeren Einwohner hatten vierteljährlich einen
Taler für die Erlaubnis zu zahlen, Kaffee trinken zu dürfen. Im
Jahre 1781 wurde, um dem „sehr stark eingerissenen Uebel des
Kaffeetrinkens zu steuern“ für das Herzogtum Westfalen und für
das Vest Recklinghausen jeder Handel mit rohem und geröstetem
Kaffee sowie das Ausschenken von Kaffee unter Androhung von
Geld- und Zuchthausstrafen verboten. Die Einfuhr von Kaffee war
nur in Mengen von mehr als 50 Pfund, die nicht von mehreren
Personen bezogen und geteilt werden durften, erlaubt. Hausfrauen
wurde untersagt, ihren Dienstboten das Kaffeetrinken zu
erlauben.
Auch den preußischen König Friedrich II. ärgerte es,
dass für Kaffee jährlich mehr als 700.000 Taler ins Ausland
flossen. Da auch eine hohe Besteuerung keine Wirkung zeigte,
wurde 1781 angeordnet, dass mit Ausnahme des Adels, der
Geistlichkeit, des Militärs und der höheren Beamten die
Bevölkerung nur von eingerichteten staatlichen Kaffeebrennereien
gerösteten Kaffee in amtlich verschlossenen Büchsen zum Preis
von einem Taler für 24 Loth [ein Loth entsprach ca. 16 Gramm]
erwerben konnten. Zur Überwachung des Verbotes, selbst Kaffee zu
rösten, wurden Steuerbeamte, meist Kriegsinvaliden, eingestellt,
im Volksmund „Kaffeeriecher“ genannt, die auf den Straßen nach
dem Duft von geröstetem Kaffee fahndeten. Diese Kaffeeriecher
hatten das Recht, in den Häusern nach ungeröstetem und
unversteuertem Kaffee zu suchen.
Preußische Kaffeeriecher im Einsatz, Gemälde von L.
Katzenstein, aus: Die Gartenlaube, Jahrgang 1892, Heft 8,
S. 257, hier aus Scans bei Commons
Nur gelegentlich findet man etwas über Kaffee und Tee
in den Warendorfer Ratsprotokollen. Im Jahre 1749 trug der
Imposteneinnehmer Cloedt [Imposten = städtische Einfuhrabgaben]
dem Rat vor, dass ein Jude Jakob, versucht habe, für einen Sack
von über 100 Pfund Kaffeebohnen die fälligen Akzisen zu
hinterziehen. Jakob gestand es. Der Rat schlug ihm einen
Vergleich vor. Bis dahin nahm man die Kaffeebohnen im
Rathaus in Verwahrung. Im Jahre 1741 scheint ein Händler aus
Rheda Akzisen für Tee hinterzogen zu haben. Er übergibt
zumindest vier Reichstaler Strafe und bittet in der Ratssitzung
vom 8.3.1741 Bürgermeister und Rat, ihm die Hälfte der Strafe zu
erlassen.
Durch eine landesherrliche Anordnung vom 6.12.1785
wurde im Fürstbistum Münster das Verbot des Tee- und
Kaffeetrinkens wieder aufgehoben, da es wohl keine Wirkung
hatte.
J.J. Scotti, Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in
dem Königl. Preuß. Erbfürstentum Münster und ... über
Gegenstände der Landeshoheit, Verwaltung und Rechtspflege
ergangen sind, Münster, 1842
Ratsprotokolle und Kämmereirechnungen der Stadt Warendorf,
Bände 9, 10, 11 der Warendorfer Geschichtsquellen
F. Ebertyx, Geschichte des Preußischen Staates, 5. Band,
Breslau 1870, S. 33
Der "neue" Bahnhof Warendorf
Wenn meine Großmutter verreisen wollte, dann begann ihre Zugfahrt
am „Neuen Bahnhof“. Der wurde zwar schon 1902 erbaut, aber die Tatsache,
dass die Warendorfer ihren schönen „Alten Bahnhof“ schon nach 15 Jahren
wieder aufgeben mussten, war unvergessen.
Nun aber war der neue
Warendorfer Bahnhof ein Eisenbahnknotenpunkt mit Rangiergleis,
Verlade-Rampe, Unterführung und Lokschuppen. Man konnte nicht nur nach
Münster und Rheda Wiedenbrück fahren, sondern auch nach Freckenhorst,
Westkirchen, Ennigerloh und Neubeckum. Der Bahnanschluss war auch für
die kleinen Orte von entscheidender Bedeutung. So konnten z.B. die
Freckenhorster Webereien die fertigen Stoffballen direkt zum Bahnhof in
Freckenhorst bringen und Rohstoffe dort abholen. Nur das Expressgut
wurde nach wie vor mit Pferd und Wagen zum Güterbahnhof in Warendorf
gebracht. Ja, die ländliche Region war nun auch verkehrstechnisch an die
große, weite Welt angebunden. Geschäftliche Auslandbeziehungen bestanden
schon lange. Die Firma Kreimer in Freckenhorst exportierte schon zu
Anfang des vorigen Jahrhunderts bis nach Amerika, die Firma Breede lieferte nach Shanghai und auch die Warendorfer
Weberei
Brinkhaus hatte viele Kunden im Ausland.
Sperriges Gut wurde von der
Landmaschinenfabrik Hagedorn und der Eisengießerei Amsbeck und der Firma
Bruch direkt am Güterbahnhof angeliefert und abgeholt.
Die Firma Hagedorn liefert Maschinenteile zum Bahnhof
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Friedel Niemeyer und Paul Perdun im Schalterraum |
Erst kurz vor Eintreffen des Zuges öffnete die Sperre, die von zwei uniformierten Bahnbeamtem besetzt war. Auf der einen Seite wurden die Fahrkarten der abfahrenden Reisenden kontrollierte und abgeknipst, auf der anderen die der ankommenden Fahrgäste entwertet. Natürlich wurde auch die Bahnsteigkarte abgeknipst, damit sie nicht ein zweites Mal verwendet werden konnte. Die Bahnsteigkarte war notwendig, wenn man jemanden zum Zug bringen wollte oder vom Zug abholen wollte. Es galt früher als unhöflich, einfach nur hinter der Sperre zu warten, man wollte ja auf dem Bahnhof mit dem Taschentuch winken.
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"Zurücktreten von der Bahnsteigkante, der Zug fährt ab" | 1950: Die Post wird aus dem Zug
in den Postkarren geladen |
Bei
Ankunft des Zuges suchten die Reisenden sich eiligst ein noch nicht so
belegtes Abteil in der 2. Klasse, auch
Holzklasse genannt, denn hier saß
man auf ziemlich harten Holzbänken. Die 1. Klasse mit den gepolsterten
Sitzen leisteten sich nur sehr wenige Reisende. Der letzte Waggon des
Zuges war immer der Postwagen. Sobald der Zug ankam wurden Briefe,
Päckchen und Pakete aus dem Postwaggon in den hölzernen Warendorfer
Postkarren umgeladen und die ausgehende Post wurde in den Zug
eingeladen. War alles fertig, konnte der Schaffner mit seiner
Trillerpfeife pfeifen und der Zug fuhr ab. Den Postkarren beförderten
dann drei Postbeamte zum nahe gelegenen Postamt - zwei zogen, einer
schob.
Otto Göcke
am Vorläufer
des Andreaskreuzes
Die Fahrt mit dem „Pängel-Anton“ war immer ein besonderes
Vergnügen. Seinen Namen hatte er wegen des dauernden Pängelns und Pfeifens auf der
Strecke, denn immer wenn am Trassenrand ein weißes Schild mit einem
schwarzen P (Pfeifen) erschien, musste der Lockführer das Fußpedal
betätigen und ein marker-schütternder Pfiff ertönte und warnte alle, die
sich an einem der zahllosen Bahnübergänge befanden. Das Andreaskreuz als
Warnung an einem unbeschrankten Bahnübergang war noch nicht erfunden,
aber das „Halt“- Schild erklärte die Gefahr ausführlich. Für die 26 km
bis Münster brauchte der Zug damals 85 Minuten, denn er fuhr höchstens
25 Stundenkilometer und musste an vielen Bahnhöfen anhalten, am
Klauenberg, in Raestrup, Telgte, Jägerhaus, Handorf und Mauritz und erst
dann erreichte der Zug in den Hauptbahnhof in Münster. Heute fährt der
Zug in 33 Minuten nach Münster und stoppt aber nur noch in Telgte und am
neuen Haltepunkt Müssingen. Das Problem der vielen unbeschrankten
Bahnübergänge ist immer noch nicht gelöst, sonst könnten die Züge bequem
alle halbe Stunde von Warendorf nach Münster fahren.
Der brennende Warendorfer Bahnhof
Der
Bahnhof brennt! So ging es am 13. Januar 1995 wie ein Lauffeuer durch
Warendorf. Hunderte Schaulustige beobachteten mit Grausen, wie ihr
kompletter Bahnhof ein Raub der Flammen wurde. Die Brandursache wurde
nie gänzlich geklärt, man geht aber von Brandstiftung in einer Halle des
Güterbahnhofs aus, in der die Inlettweberei Brinkhaus Federbetten
gelagert hatte. Der Brandschaden war so groß, dass der gesamte Bahnhof
abgerissen werden musste. Nun gab es nur noch einen Fahrplanaushang und
den Fahrkartenautomaten auf Bahnsteig. Wie gut, dass der Kiosk von Frau
Kirsch an der Ecke Wilhelmstraße nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Dort können sich nach wie vor die Bahnfahrer ihre Zeitung und das
Brötchen kaufen und die neuesten Nachrichten des Tages hören. Einen
Vorteil hatten die Autofahrer.
Sie konnten nun direkt bis an den
Bahnsteig fahren und wenn sie Glück hatten, dort sogar parken. Ein
Dauerzustand aber sollte das leider nicht sein.
Viele Jahre lang forderten die Bürger: Warendorf braucht einen
neuen Bahnhof! Die Deutsche Bundesbahn wollte wohl den Warendorfer
Bahnhof in das „100 Bahnhöfe-Programm“ aufnehmen, das aber nur den Bau
eines Bahnhofs, nicht aber eines Bahnhofsgebäudes beinhaltete. Das
Bahnhofsgelände sollte verkauft werden. Die Stadt Warendorf suchte noch
eine Lösung, als die Bahn im Januar 2000 Fakten schaffte und das
Bahnhofsgelände an die h&w Immobilien aus Harsewinkel verkaufte. Die
planten auf dem Gelände ein Geschäfts- und Bürogebäude, evtl. auch ein
Ärztezentrum. Den Warendorfern wurde schnell klar, ein richtiges
Bahnhofsgebäude mit Fahrkartenschalter, Auskunft und Gaststätte wird es
wohl nicht mehr geben. In dem Bürogebäude sollte aber im unteren Bereich
ein Aufenthaltsraum mit Fahrplanaushang sein, wo man an einem
Fahrkartenautomaten seinen Fahrschein ziehen konnte.
Am
14. Dezember 2003 wurde dann der „neue Bahnhof“ eingeweiht. Er bestand
aus einem Bahnsteig, einer Unterführung, einem Fahrradparkhaus, einem
Parkplatz und einem großen Bahnhofsvorplatz. Da ein Aufzug für die
Unterführung zu teuer und vor allem zu störanfällig geworden wäre, wurde
ein zweiter Zugang an der Zumlohstraße gebaut. So waren beide Geleise
plangleich erreichbar.
Nun konnte der erste Zug in den neuen Bahnhof einfahren. Die
Deutsche Bahn hatte sich allerdings von dieser Nebenstrecke
verabschiedet, die „Nordwestbahn“ trat die Nachfolge an und präsentierte
der staunenden Bevölkerung einen eleganten, modernen Zug, ausgestattet
mit gepolsterten Sitzen mit Kopfhöreranschlüssen, Fahrkartenautomaten in
den Abteilen und großzügigen Fahrradplätzen. Ja, man konnte sich sogar
für 50 Cent an Getränkeautomaten heißen Kaffee und Tomaten- oder
Spargelsuppe kaufen. Fast geräuschlos schnurrte der Zug Richtung
Münster. Das war wirklich eine neue Bahn Ära. Der Güterverkehr wurde
allerdings ganz eingestellt.
Der Bahnhofsvorplatz wurde aufwändig und großzügig mit vielen
Lampen und einer Arkaden-Baumallee gestaltet, geplant vom Warendorfer
Architektur-Büro Klein/Riesenbeck. Das Bahnhofsgebäude aber wurde zu
einer unendlichen Geschichte. 2003 musste die Immobilienfirma h&w
Konkurs anmelden und auch all die nachfolgenden Investoren kamen zu dem
Schluss: Ein Bürogebäude am Bahnhof rechnet sich nicht! Noch heute
befindet sich neben dem Bahnsteig eine Rasenfläche - vielleicht Gott sei
Dank, denn wenn man sich hier ein dreistöckiges Gebäude vorstellt, dann
könnte das schon sehr beengend wirken.
Auf
den Bahnhofsvorplatz wurde 2009 nach der Auslobung des Wettbewerbs
„Kunst am Bahnhof“ ein Kunstwerk aufgestellt, getreu der Vorschrift „2%
der Bausumme für Kunst am Bau“. Die Jury entschied sich für das
Skulpturenensemble „Urbanes Baumzeichen“ des Beckumer Künstlers
Ulrich Möckel, eine 3,50m hohe Skulptur aus spiegelndem, poliertem
Edelstahl, die mit einer vierteiligen Sitzgruppe aus anthrazitfarbenen
Betonsteinen vor Heitmanns Geschäftshaus an der B64 korrespondiert. Die
Warendorfer Künstler waren nicht sehr begeistert, dass nicht ein
heimischer Künstler, z.B. Demir Demiroski mit seinem Sprinter oder Rolf
Pfand mit einem Warendorfer Schmiedekunstwerk zur künstlerischen
Gestaltung des Bahnhofsvorplatzes beitragen durften.
Das war einmal unser Bahnhof
Mechtild Wolff
Quellen: Zeitzeugenberichte und eigene Erinnerungen
Werner Ströker: Geschichte(n) aus Warendorf
Presseberichte und Ratsprotokolle
Bilder: Archiv der Altstadtfreunde und Archiv
Wolff
Der erste Warendorfer Bahnhof von
1887
Der 8. Februar 1887 war ein denkwürdiger Tag für Warendorf: Zum ersten Mal fuhr ein Zug in den neu erbauten Bahnhof an der Wallpromenade ein. Auf dem Bahnsteig, damals noch „Perron“ genannt, standen die Honoratioren der Stadt zur Begrüßung bereit, unterstützt von der Stadtkapelle, die „Ein Hoch auf den Kaiser“ spielte. Nun endlich hatte das aufstrebende Landstädtchen den Anschluss an die große, weite Welt bekommen, dafür hatte der Textilfabrikant Hermann Josef Brinkhaus viele Jahre lang gekämpft. Voller Stolz blickten die Warendorfer auf das prachtvolle Bahnhofsgebäude im neugotischen Stil, das sinnigerweise die Form einer Lokomotive hatte.
Schon nach 15 Jahren, im Jahr 1902, wurde dieser
Bahnhof überflüssig. Neben der Ost-Westverbindung nach Münster und Rheda
entstand eine neue Nord-Süd-Bahnlinie. Die Westfälische Landeseisenbahn
hatte eine Strecke von Warendorf über Freckenhorst, Ennigerloh nach
Neubeckum angelegt. Die Bahntrasse konnte aber nicht so gebaut werden,
dass sie am bestehenden Bahnhof mündete, das Lehrerseminar und die
Häuser an der Breede standen im Weg. So musste man sich 1902
entschließen, etwa 500 m weiter westlich einen neuen Bahnhof zu bauen.
Dort konnten sich die beiden Bahnlinien treffen. Vorher wurden aber noch
die Geleise hinter den „Alten Bahnhof“ gelegt - heute verläuft die B64
auf der alten Bahntrasse.
Das alte Bahnhofsgebäude musste nun eine neue
Verwendung finden. Lange wurde es als Finanzamt genutzt und von der
Familie des Seminarlehrers Arthur Rosenstengel bewohnt, der das
ehrwürdige Gebäude zusammen mit seinen 10 hochmusikalischen Kindern mit
den Klängen der Geigen, Harfen, Klarinetten und Trompeten erfüllte. Mit
den Jahren wurde der „Alte Bahnhof“ immer sanierungsbedürftiger und
stand viele Jahre lang leer. Es gab mehrere Pläne, die aber immer den
Abbruch des „Alten Bahnhofs“ vorsahen. Die Stadt widerstand klugerweise
diesen Abbruchanträgen. Vor einigen Jahren kaufte dann ein mutiger
Warendorfer Unternehmer den großen, sehr heruntergekommenen „Alten
Bahnhof“ und verwandelte ihn in elfmonatiger Bauzeit in ein modernes
Büro- und Praxisgebäude. Das historische Aussehen in Lokomotiven-Form
wurde erhalten, die Außenfassade konnte mit neuer Strahltechnik
vorsichtig gereinigt werden und erstrahlte bald im alten Glanz. Das
Innere bekam eine moderne Gestaltung. Im April 2013 wurde der sanierte
„Alte Bahnhof“ der staunenden Öffentlichkeit vorgestellt und schmückt
heute als beherrschendes Gebäude wieder die Wallpromenade.
Wie gut, wenn nicht sofort der Abbruchbagger kommt,
es findet sich irgendwann doch noch eine gute Lösung.
Der
"Alte Bahnhof nach der Sanierung von 2013
Aus der Geschichte Warendorfs:
Als in Warendorf der Kaffeegenuss verboten war
Aus der Warendorfer Eisenbahngeschichte:
Der "Neue Bahnhof" in Warendorf von Mechtild Wolff
Aus der Warendorfer Eisenbahngeschichte:
Der "Alte Bahnhof" in Warendorf
Der Warendorfer Friedhof - Spiegel der Stadtgeschichte
Gebr. Hagedorn und Co, eine Landmaschinenfabrik mit Eisengießerei
Der Warendorfer Friedhof: Spiegel der Stadtgeschichte
Die Fabrikantenfamilie Bispinck
Hochwasserkatastrophen in Warendorf: 1891 - 1946 - 1956 - 1960
von Mechtild Wolff
Das Dezentrale
Stadtmuseum
ist in der Regel an Sonn- und Feiertagen von 15:00 - 17:00 Uhr geöffnet.
Der Eintritt ist frei.