Straßennamen entstanden zunächst aus der
Notwendigkeit, eine Orientierung zu schaffen. Häuser,
Grundstücke oder Plätze sollten genau, eindeutig und
unverwechselbar benannt werden. Erst in späterer Zeit
trat eine katastral-fiskalische Notwendigkeit
hinzu. Grundstücke und Häuser wurden mit Nummern
versehen (zunächst oft mit den Brandkatasternummern, die
aus militärischen oder steuereintreibenden Gründen
allerdings zumeist schon vorher vorhanden waren; erste Nummerierungsverordnung in Preußen 1737; 1857
Nummerierungsgesetz in Hannover) und Straßen zusätzlich
als weitere Ordnungseinheit systematisch mit Namen
bezeichnet. Sowohl die eigentumsrechtliche wie die
steuerrechtliche Seite nötigten zu systematischer
Benennung. Danach erst traten zudem noch die
personenstandsrechtliche (Melderegister) und folgend die
postalische Komponente hinzu. Eine gesamtstaatliche
Verpflichtung, jede Straße, sofern an ihr Wohnbebauung
vorhanden war, mit einem „offiziellen“ Namen zu
versehen, besteht in Preußen erst ab dem frühen 20.
Jahrhundert.
Daraus folgt, dass aus verschiedenen Notwendigkeiten
heraus heute jede Fläche unzweideutig bezeichnet sein
muss. Im Falle bebauter Grundstücke erfolgt diese
Bezeichnung durch die Kombination von Orts- und
Straßennamen mit einer Hausnummer. In großen Städten mit
bestimmten historischen Gegebenheiten können noch andere
Prinzipien hinzutreten (z.B. die vor den Straßennamen
gesetzte Bezirksnummer; eine Planquadratbezeichnung,
z.B. Mannheim, findet sich recht selten).
Die ersten Straßennamen orientierten sich an markanten
Punkten in Verbindung mit Eigentümernamen („Hinnerk
Frensen Haus an der Kirche“). Bei Fehlen bzw.
Untauglichkeit eines topographischen Bezugspunktes
erfolgte eine Doppelbestimmung, die jeden Zweifel
ausschloss („Hinnerk Frensen Haus zwischen Hans Lampen
Haus und dem der Witwe Hausen“). Schon im 13.
Jahrhundert bildeten sich Straßennamen im eigentlichen
Sinne aus („Ludeke Lampen Haus am Markt“). Eine
Numerierung allerdings fehlte noch völlig; sie wurde im
Regelfall (Eine Ausnahme bilden Neugründungen im 17./18.
Jh. -> z.B. Mannheim.) in den Deutschländern zumeist
erst mit der Brandkatasteranlage ab der zweiten Hälfte
des 18. Jh.s vorgenommen.
1. Die frühen Straßennamen ab dem 13. Jh. folgten dem
Prinzip eines funktionalen Pragmatismus, dessen
Richtlinien sich wie folgt zusammenfassen lassen. Die
Nennung erfolgte
-
nach der Funktion von Örtlichkeiten („Holzmarkt“,
„Appellplatz“),
-
nach Ortseigentümlichkeiten („Schulstraße“, „Kesselstr.“),
-
nach Besitzern/Bewohnern von Häusern („Ritterstraße“, „Borchardingstr.“),
-
nach Berufs- bzw. Sozialgruppen („Schmiedestr.“, „Zuckertimpen“,
„Judengasse“),
-
nach geographischen Bezugpunkten („Paderborner Weg“).
-
nach Gegebenheiten der Physis („Fuhlke“, „im Tal“)
2. Erst im 18. Jahrhundert trat daneben ein weiteres
Prinzip, das der politischen Manifestation. Zunächst
prägte es sich so aus, dass die Vornamen der Mitglieder
des regierendenden Fürstenhauses in Neubaugebieten
benutzt wurden (Typ: „Amalienstraße“). Im 19. und vor
allem im 20. Jahrhundert verdichtete sich dieses Prinzip
(„Friedrich-Wilhelm-Platz“, „Straße der DSF“, „Platz der
Einheit“, „Danziger Freiheit“), das bei wechselnder
politischer Stimmungslage oft zur Revozierung und
Neubenennung entsprechend der neuen politischen Richtung
(„Stalin-Ring“, „Adolf-Hitler-Damm“) führte.
3. Oft wurde/wird dieser Typ verbunden mit dem
Erinnerungsprinzip, das allerdings auch ohne die
Komponente politischer Manifestation benutzt werden kann
und oft mit der zusätzlichen Funktion einer öffentlichen
Ehrung bzw. Mahnung gekoppelt ist
(„Siegmund-Spiegel-Platz“). Die Kopplung von Erinnerung
und politischem Bekenntnis ist typisch seit dem
ausgehenden 19. Jh. („Sedan-Platz“, „Hindenburg-Platz“,
„Berliner Freiheit“).
Das Erinnerungsprinzip kann nach folgenden
Gesichtspunkten systematisiert werden:
-
Erinnerung (ggf. mit Ehrung) an Personen u. Ä. (mit und
ohne Lokalbezug),
-
Erinnerung an Ereignisse („Str. der Völkerschlacht“)
[kaum von Nr. 2 zu trennen],
- Erinnerung an geschichtliche
Phänomene im Allgemeinen (Hanseviertel,
Ostgebieteviertel „Allensteinerstr.“,
Abtretungsgebieteviertel usw.),
- Erinnerung an geschichtliche
Phänomene im Besonderen (i.e. mit Lokalbezug „Griesenstr.“)
-
Erinnerung an historische Namen, v.a. Flurnamen („Streinen
Esch“, „Breede“, „Wandstr.“)
-
Erinnerung an frühere Funktionalitäten
(„Schmiedestraße“, „Petermannweg“)
4. Seit dem 20. Jahrhundert, vor allem aber nach ca.
1960 entstand ein viertes Prinzip, das man das Prinzip
des sterilen Themenfeldes nennen kann (Dichterviertel,
Blumenviertel usw.). Dieses Prinzip hat fast
ausschließlich keine Möglichkeit, einen Ortsbezug
herzustellen, benutzt allerdings Themengebiete völlig
unterschiedlicher Aussagequalität (Z.B. stehen
Nagetiere, Fische, Pflanzenfamilien neben „großen“
Politikern, Dichtern, Komponisten „Wagnerstr.“) o. Ä.).
Möglich ist allerdings in Verbindung mit Nr. 2 und 3 der
Bezug zur „Vaterländischen Geschichte“ (Generäle des
1.WK, Schlachtorte des Krieges 70-71, Erfinder der
Jahrhundertwende, u.v.m.).
5. Eine Variation dieses Prinzips bei allerdings
gleichzeitiger Zuspitzung ist die Benutzung eines
Themenfeldes oder Personenkreises mit Orts- oder
Regionalbezug, z.B. ein Quartier mit nach den
Nachbarorten benannten Straßen oder mit durch gleiche
Profession und gleichen Regionalbezug ausgestatteten
Personen, wie z.B. westfälischen (Mundart-)Dichtern
(„Luise-Hensel-Str.“). Diese Variante hat im Gegensatz
zum vierten Prinzip die Möglichkeit größerer
Identifikation.
6. Neben diese in der Sache, wenn auch in
unterschiedlicher Qualität begründbaren Prinzipien
treten allerdings oft noch rein pragmatische
Überlegungen, die deshalb ebenfalls als Prinzip
aufzuführen sind:
- die Länge eines Namens
(„Bischöflich-Geistlicher-Rat-Josef-Zinnbauer-Straße“:
momentan der längste reale Straßenname in der BRD),
- Vermeidung von Homophonen („Hoyer-Straße“ - „Hoya-Straße“),
- Vermeidung von Gleichheit bei bloßem Grundwortwechsel
(„Milter Str. und Milter Weg),
- Quartiersprinzip (Namen können funktional direkt einem
Quartier = Richtung zugeordnet werden -> Amselweg muss
im Vogelviertel liegen. Dies Prinzip ist allerdings nur
sinnvoll, wenn es keine Ausnahmen gibt., (z.B. in
Warendorf „Vogelviertel“, aber in Einen „Schnepfenweg“).
***
Straßen- und Platznamen sind nicht nur für die jeweilige
Gegenwart im Orientierungssinne wichtig, sondern können
sekundär auch zur Identitätsbildung in der Gegenwart
beitragen, indem sie das historische Bewusstsein mit
beeinflussen.
In letzterem Sinne aber bilden sie für kommende
Generationen das heutige bzw. das Bewusstsein zur
Namengebungszeit ab, werden somit zu geschichtlicher
Quelle (Die „Reichenbacher Str.“ sagt nichts über
Reichenbach aus, aber viel über das Bewusstsein
derjenigen, die den Namen auswählten.) Umgekehrt sind
aber auch für die Gegenwart alle früher entstandenen
Straßennamen geschichtliche Quellen (Der Name Fuhlke
bezeugt den früher mittig in der Straße laufenden
offenen Abwasserkanal.), wenn auch in unterschiedlicher
Intensität. Dieser Quellenwert (z. B. Zuckertimpen)
gebietet eine gewisse Pflege überkommener Namen.
Die vorstehenden Ausführungen beziehen sich im
Wesentlichen auf das Bestimmungswort, aber auch dem
Grundwort kommt eine erhebliche, v.a. philologische
(Wenig sinnvoll ist der Versuch volksetymologischer
Deutungen, die vom momentanen Buchstabenbestand
ausgehen.) Quellenfunktion zu. Gerade im hiesigen
Bereich zeigt es untergegangene Sprach- und oft auch
Nutzungsstände an (z.B. aski-Namen): Eschnutzung. Umgekehrt erlaubt
die bewusste Auswahl der Grundwörter die Erinnerung
und Pflege
vergangener Sprachstände, v.a. im Bereich des
Niederdeutschen. Die rein ästhetische Qualität einer
möglichst großen Grundwortvarianz sei nur zusätzlich
erwähnt.
Am 31.7.2007 für die Internetz-Hausseite des
Heimatvereins Warendorf erstellt von Dr. Bernward
Fahlbusch
Stadtmodell 1908
Die Herkunft von Straßennamen
Bülstraße
Brünebrede
Fleischhauerstraße
Gerichtsfuhlke
Heumarkt
Hohe Straße
In den Lampen
Königsstraße
Krickmarkt
Krückemühle
Kletterpohl
Kurze Kesselstraße
Lange Kesselstraße
Laurentiusstraße
Lilienstraße
Lohwall
Lüningerstraße
Mühlenhof
Markt
Neuenhof
Quabbe
Rüenschlüppe
Schweinemarkt
Totenstraße
Zuckertimpen
...außerdem im
Warendorfer Lexikon
das Portrait
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