Es umgab ihn ein Hauch des Geheimnisvollen, der Bewunderung und der Hochachtung.
Man hatte ihn auch nach 50 Jahren nicht vergessen. In unserer Familie wurden gern Geschichten von Arthur Rosenstengel erzählt und es dauerte nie lange, bis jemand sagte: „Ardhur hat 10 Kreuze!“ Bis heute weiß ich: A-Dur hat 10 Kreuze und Arthur Rosenstengel hatte 10 Kinder!
Wer war Arthur Rosenstengel? Er war kein Paolbürger, denn er wurde 1854 in Hochheim bei Erfurt als Sohn eines Landwirts geboren, ein Thüringer also, ein „Dieringer“, wie er selbst zu sagen pflegte. Darum passte das „Ardhur“ auch so schön. Ein Thüringer im tiefsten Münsterland, das war bestimmt nicht immer einfach, selbst wenn man den Titel eines Königlichen Musikdirektors führte.
Arthur Rosenstengel hat Generationen von zukünftigen Lehrern am Lehrerseminar für das Fach Musik begeistert! Seine musikalische Begabung hatte er vom Vater geerbt, der nicht nur den Pflug zu führen verstand, sondern auch ausgezeichnet Orgel, Klavier und Violine spielte. Arthur bekam eine ausgezeichnete musikalische Ausbildung auf der Präparandie in Heiligenstadt, studierte während seiner Anstellung in einer Rektoratsschule und an der Volksschule in Arnstadt Harmonielehre und Kontrapunkt und absolvierte danach noch ein Studium an der Akademie für Kirchenmusik in Berlin.
1880 heiratete er die aus Erfurt stammende Adolfine Gassmann, so, wie es sich für einen Lehrer schickte. 1882 bekam er eine Berufung an das Lehrerseminar in Büren und 1888 wurde er Musiklehrer am Lehrerseminar in Warendorf, 34 Jahre alt und Vater von 5 Kindern, deren Anzahl sich im Laufe der Jahre auf 10 erhöhte.
Mein Großvater gehörte zu den Seminaristen, die bei dem begnadeten Musiklehrer Arthur Rosenstengel Klavier, Orgel und Geige spielen lernten. Das war für einen zukünftigen Lehrer von großer Wichtigkeit, denn in den meisten Ortschaften waren die Lehrer wichtige Kulturträger, sie unterrichteten die Jugend, spielten in der Kirche die Orgel, leiteten den Kirchenchor und den Gesangverein und vieles mehr. Der Unterricht begann morgens mit einem Gebet und einem Lied, das der Lehrer auf der Violine begleitete.
Das 1882 fertiggestellte Lehrerseminar an der Freckenhorster Straße war damals ein Glücksfall für das arme Landstädtchen Warendorf, nicht nur weil es ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war. Es machte auch ein lebendiges Kulturleben möglich. Arthur Rosenstengel prägte in seinen 23 Warendorfer Jahren das Musikleben dieser Stadt. Das war damals von noch viel größerer Wichtigkeit als heute, man konnte sich ja noch nicht auf Knopfdruck erstklassige Musikinterpreten ins Wohnzimmer holen. Wer Musik genießen wollte, musste selbst etwas tun. Und man tat es.
Ohne Zweifel ist es ein Verdienst von Arthur Rosenstengel, dass es in unserem kleinen Landstädtchen neben dem Männergesangverein auch einen gemischten Chor gab, die den Bürgern mehrmals im Jahr Aufführungen im Bürgerhof oder im Saal des Hotels Schnösenberg an der Münsterstraße bescherten. Auch im Club Harmonie fanden mit seiner Hilfe gern besuchte Konzerte statt. Lange war in Warendorf ein Wohltätigkeitskonzert Stadtgespräch, das zum Besten „der Armen Berlins“ im Dezember 1909 im „Hotel zur Deutschen Reichspost“, (das spätere Hotel Henkel) stattfand. In der Rezension hieß es: „Dieses Konzert war unstrittig eines der besten und schönsten Konzerte, welche jemals in Warendorf aufgeführt worden sind. Mitwirkende waren nur die Kinder von Herrn Rosenstengel.“ Ja, alle 10 Kinder spielten wenigstens ein Instrument, viele sogar zwei oder drei und es war für Arthur Rosenstengel ein ganz besonderes Vergnügen, mit seinen Kindern zusammen aufzutreten. Diese Veranstaltungen weckten bei den Bürgern das Interesse für Musik. Auch als Laie machte man nicht nur Hausmusik, sondern trat in größerem Rahmen öffentlich auf.
Nicht nur seine unterrichtliche Tätigkeit am Lehrerseminar, auch dieses musikalische Engagement brachte Arthur Rosenstengel große Hochachtung, wenn nicht Verehrung in der Bevölkerung ein.
Sein Direktor am Lehrerseminar aber konnte Rosenstengels weltoffene und nicht selten unkonventionelle Lebensart schwer mit der Dienstauffassung eines preußischen Beamten vereinbaren. Die Rosenstengels hatten z.B. eine Freundin, die lange in England gelebt hatte und Frei-Denkerin war. Der Direktor sah sich gezwungen, den Herrn Seminarlehrer und seine Familie auf das Anstößige und Unzulässige eines solchen Kontaktes hinzuweisen und ihm den Verkehr mit dieser als Atheistin bekannten Person zu untersagen. Es gehörte schon Mut dazu für einen Vater von 10 Kindern, den Kontakt mit „notorischen Socialdemokraten und Gottesleugnern“ nicht aufzugeben.
Pedantisch war er auch nicht, so bekam er schriftliche Rügen, weil er nach dem morgendlichen Orgelspiel in der Kirche von 6Uhr -1/4 vor 7 Uhr den Stuhl nicht wieder an seinen Platz setzte.
Und dann wurden ihm noch seine sonntagabendlichen Stammtischbesuche angekreidet. Auch das nahm er mit Humor und teilte „seiner Excellenz, dem Herrn Oberpräsidenten“ mit, dass angesichts seiner relativ geringen Einkünfte, über die seine Frau voll verfüge und von denen ein 12 Personenhaushalt zu bestreiten sei, der Vorwurf „Nachtschwärmer“ wohl zu Unrecht bestünde.
All diese Widrigkeiten des Lebens fochten ihn aber nicht wirklich an, vielleicht machte er bei „Ardhur“ heimlich noch ein paar Kreuzchen dazu.
Auch seinen Unterricht gestaltete er gern unkonventionell. Ein ehemaliger Seminarist berichtet: „Jeden Freitagnachmittag war Chorstunde unter der Leitung unseres Musiklehrers Arthur Rosenstengel. Während dieser Zeit machte der „Bär“, das war der gefürchtete Seminarleiter Dr. Funke - Carl Wagenfeld nannte ihn in seinen Erinnerungen sogar den „Diktator“ - einen Spaziergang in Richtung Freckenhorst. Dann wurde die Stunde für uns alle etwas Besonderes. Es wurde nicht gesungen, was der Bär verfügt hatte, sondern was Rosenstengel und uns gefiel: Liebeslieder und Trinklieder, die sonst auf der Verbotsliste standen! Ein Beobachtungsposten am Fenster der Aula konnte die damals noch unbebaute Straße weit übersehen und zeitig Gefahr melden. Rosenstengel und Klessing waren die einzigen gemütlichen Herren, die uns kaum ein Haar krümmten und ihre Forderungen in erträglichen Grenzen hielten“, so der Seminarist.
Seine Warendorfer Jahre waren die wichtigsten und erfolgreichsten Jahre seines Lebens. Hier entwickelte er neben seiner Lehrtätigkeit seine kreativen Fähigkeiten als Komponist. Neben zahlreichen Einzelkompositionen und Chorwerken werden allein 600 Vor- und Nachspiele zum Münsterschen Gesangbuch erwähnt, 65 geistliche Lieder, 56 Lieder für gemischten Chor und 50 für Violine. Bekannt geworden sind sein Chorwerk „Das Grab im Busento“ und natürlich das Westfalenlied. Sein letztes großes Konzert gab er am 6. Juli 1911 im Bürgerschützenhof.
Allzu früh, mit nur 57 Jahren, verstarb er am 27. Juli 1911 an einer Lungenentzündung, die er sich sonntags zuvor geholt hatte.
Die Westfälische Lehrerzeitung schrieb: „Etwa 1000 Lehrer, heute in allen Gauen Deutschlands zerstreut, nennen den Verstorbenen ihren Musiklehrer und tragen in ihren Herzen ein freundliches Gedenken gegen ihn, ja, sie stehend trauernd an der Bahre des großen Musikers, den sie lieb gewannen.“
Quelle:
Arthur Rosenstengel 1854-1911
von Inge Kretka-Rosenstengel, seine Enkelin
in Warendorfer Schriften 16-18 1986-88
Heinrich Blum, von allen "Mister Blum" genannt
Franz Joseph
Zumloh, der Begründer des Josephshospitals
Maria Anna
Katzenberger und Heinrich Ostermann
Hermann Josef
Brinkhaus,
Gründer der Firma Brinkhaus
Eduard
Wiemann und die Villa Sophia
Anna
Franziska Lüninghaus, Gründerin der Marienstiftung
Wilhelm
Zuhorn, Geheimer Justizrat und Geschichtsforscher
Bernard
Overberg, der Lehrer der Lehrer
Arthur
Rosenstengel, Seminarlehrer, Musikerzieher und Komponist
Pauline
Hentze, Begründerin der Höheren Töchterschule
Franz
Strumann, Pastor und Förderer der höheren Mädchenbildung
Dr. Maria
Moormann, die mutige Direktorin der Marienschule
Josef Pelster,
der Schulrat und Naturfreund
Wilhelm
Diederich, Bürgermeister von 1869-1904
Hugo
Ewringmann, Bürgermeister von 1904-1924
Theodor
Lepper, Stadtrendant und Retter in den letzten Kriegstagen
Clara Schmidt,
Kämpferin für die Frauenliste im Stadtparlament
Elisabeth
Schwerbrock, eine hochengagierte Stadtverordnete,
Eugenie
Haunhorst, die Kämpferin für ihre Heimatstadt
Paul Spiegel,
Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland
Paul
Schallück, der vergessene Nachkriegsschriftsteller
Heinrich
Friedrichs, ein Warendorfer Künstler
Theo
Sparenberg, Kinokönig und Tanz- und Anstandslehrer
Wilhelm
Veltman, Retter der historischen Altstadt
Rainer. A. Krewerth, ein schreibender Heimatfreund
Prof. Dr. Alfons
Egen
ein begnadeter Lehrer und Heimatfreund
Änneken Kuntze und ihre Schwester Lilli
Elisabeth Schwerbrock, Stadtverordnete in Warendorf
Anni Cohen und ihre Familie - von Warendorf nach Südafrika und Palästina
Eduard Elsberg erbaute das erste große Kaufhaus in Warendorf